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ILB-Kunstpreis 2022

Es handelt sich um die Verleihung einer Auszeichnung. Es sind vier Personen. Eine hält einen Blumenstrauß, eine andere hält ein Mikrofon, während sie spricht. Eine andere Person hört aufmerksam zu und eine weitere Person zeigt eine Urkunde. Im Hintergrund sieht man das Porträt einer Künstlerin und das Logo des Preises, auf dem "ILB-Kunstpreis Brandenburg 2022" steht.

Im Jahr 2022 hat die ILB erstmalig einen Kunstpreis ausgeschrieben. Er war mit einem Preisgeld von 15.000 Euro dotiert.

Der ILB-Kunstpreis 2022 ging an Henrike Pilz. Die in Zernsdorf bei Königs Wusterhausen aufgewachsene Künstlerin setzte sich unter 234 Bewerbungen bei der Jury des ILB-Kunstpreises durch. Ihre Ausstellung "Die Gärten des Vergessens" war von März bis Mai 2023 in der ILB zu sehen.

Meine Damen und Herren,

Zuerst ist Henrike Pilz eine Zeichnerin. Sie hat es selbst beschrieben, dass die Zeichnung Ursprung und Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit ist. Sie trägt recht großformatige gebundene Zeichenbücher bei sich, um zu jeder Zeit, an jedem Ort arbeiten zu können und auf Eindrücke, Empfindungen, Beobachtungen schnell reagieren zu können. Jene Blätter, die ihrer späteren kritischen Betrachtung oder auch Korrektur standhalten, schneidet sie aus den Büchern heraus und sie beginnen ihre Existenz als autonomes Werk.

Das heißt ja nichts anderes, als dass Henrike Pilz die Wirklichkeit, der sie begegnet, die sie wahrnimmt, gleichsam sur le motif vor Ort auf die Möglichkeit ihrer Transformation hin untersucht. Denn natürlich zeichnet sie nicht etwas ab und schafft dabei ein Bild von dem, was sie sieht, sondern sie stellt etwas dar: nämlich die komplexen inneren Motive und Schwingungen ihrer Wahrnehmung. Und genau das sind Künstler ja gemeinhin auch heute noch: sensible Spezialisten der Wahrnehmung. Wir kommen darauf noch einmal zurück.

Ausgehend von der Methode und der Erfahrung geistiger wie körperlicher Bewegungsformen des Zeichnens, ausgehend auch von den Zeichnungen selbst stellt sie aus dem Material dieser Wahrnehmung neue Zusammenhänge, man kann auch sagen: erweiterte Kontexte her. Das können Rauminstallationen mit realen Gegenständen sein, Assemblagen, auch filmische Arbeiten hat sie gemacht und vor allem hat ihre Malerei sehr viel damit zu tun.

Henrike Pilz hat eine interessante künstlerische Biographie, in der die ästhetische Komplexität ihrer jetzigen Arbeit gewiss eine Begründung findet. Sie hat an der TU Berlin von 2003 bis 07 Geschichte studiert und war danach bis 2010 an der Burg Giebichenstein in Halle im Grundstudium „Bild-Raum-Objekt-Glas“ sowie Medienkunst. Dann wechselte sie zur Hochschule für Bildende Künste Dresden, wo sie bei Ulrike Grossarth in der Klasse für „übergreifendes künstlerisches Arbeiten“ 2012 ihr Diplom machte und daneben bei Lutz Dammbeck in der Medienkunst studierte. Danach war sie bei Ulrike Grossarth Meisterschülerin. Ihren Abschluss machte sie mit einer Videoarbeit, einem Film, der Interviews mit Generationsgefährten zeigt, deren Eltern, als sie Kinder waren, im Visier der Stasi standen.

Ohne Zweifel war das eine gute Vorbereitung auf das Leben als Künstlerin auf der freien Wildbahn, das so etwa 4 bis 5 % der Absolventinnen und Absolventen der künstlerischen Hochschulen allein mit ihren Werken oder Projekten bestreiten können. Und dazu gehören auch Preise und Stipendien, wie z. B. das N.Y. – Stipendium des DAAD, das sie vor ein paar Monaten für ein halbes Jahr dorthin geführt hat und natürlich auch wie dieser wunderbare Preis, den wir heute verleihen.

Henrike Pilz hat für diese Ausstellung eine Auswahl von Zeichnungen und Bildern getroffen und sie hat eine Tapete entworfen und drucken lassen, die diesem Teil des Innenraums des ILB-Gebäudes eine gewissermaßen visionär-visuelle Atmosphäre einschreibt.

Da wissen wir nicht genau, ob wir in der psychodelischen Imaginationskantine der Bewusstseinserweiterung aus den 70er Jahren sind, in der die Formen und Farben ineinander stürzen oder bei einer okkultistisch-mythentrunkenen Feier des Übersinnlichen in der Zeit um 1900? Oder aber ist es schlicht ein NFT, ein Non Fungible Token aus dem Computer, mit dem man jedwede Form von Eklektizismus, falschem Schein und großer Geste perfekt beherrschen kann?

Jedenfalls scheint mir diese Tapete eine Art Referenzrahmen für die Ausstellung zu setzen, denn die Arbeitsweise der Künstlerin hat mit allem zu tun: Mit dem freien Spiel der Imagination, mit dem Erscheinen wie mit dem Verschwinden, mit dem Fluidum sinnlicher Strahlung des Materials wie mit der kühlen Beherrschung der künstlerischen Produktionsmittel. Und natürlich können wir die Tapete auch als einen ironischen Kommentar verstehen auf die unübersehbare Diskrepanz zwischen der großen Geste des Außenhaut dieses Gebäudes und seiner pragmatisch effizienzorientierten Raumordnung im Inneren.

Zuerst einmal ist sie aber der Untergrund für die Bilder, die sich auf der farbigen Dominanz der Tapisserie behaupten müssen und das auch tun. Im größten Gegensatz zum white cube, dem sakralen Leerraum einer vergangenen Kunstreligion sind die Arbeiten hier präsentiert. Und weil wir alle mehr oder weniger bewusst, ohne entwicklungsgeschichtlich darauf vorbereitet zu sein, einer gewaltigen Überschwemmung durch Bilder ausgesetzt sind, schützen wir uns durch ein selektives Sehen, das paradoxerweise nicht zur Abstumpfung sondern zur Schärfung der Sinne beizutragen scheint. Jedenfalls ist das offenbar so bei den native children of the digital age.

Was dabei auffällt, ist der Vorgang der Entstehung. Jedenfalls soweit man ihn rekonstruieren kann. Es ist keine Malerei im hergebrachten Sinne, sondern ein Prozess. Henrike Pilz trägt die Materialien –

Pigmente, Bindemittel, Farben – auf die Leinwand auf und formt die so entstandene amorphe Masse zu einem Bild, das danach noch weiter modifiziert werden kann – oder auch nicht. Seit der Romantik haben Künstler sich solcher Methoden der initiierten Selbstentstehung von Bildern bedient und sie immer wieder ihrer Zeit und deren Sehweisen angepasst. Es ging dabei darum, dem Zufall und dem Eigenleben der Materialien Raum gewähren.

Denken Sie auch an die Surrealisten und ihre Vorstellung von Automatismus oder den abstrakten Expressionismus der Nachkriegszeit. Doch waren das Artikulationen eines klaren Stilwillens. In der Generation von Henrike Pilz scheint dieser Begriff erst einmal ausgedient zuhaben. Es geht jetzt nicht um Stil, es geht um Stimmung. Das könnte auch heißen, dass in der virtuellen elektronischen Bilderwelt dem Material, der Materialität der Bilder, eine wieder neu definierte Rolle zukommt. Das ließe sich weiterdenken in die posthumanistische Philosophie des New Materialism, dessen führende Vertreterinnen seit einigen Jahren in der Kunstwelt weithin rezipiert werden. Hier wird den Dingen, dem Material ein Eigenleben zugeschrieben, eine aktive Agenda und eine Wirkmacht. Aber so interessant diese Perspektive sein mag, sie würde hier zu weit führen und darüber haben Henrike Pilz und ich auch gar nicht geredet.

Ich möchte nur noch einen kleinen Schlenker machen zu den Titeln dieser Werke. Titel haben ja verschiedene Aufgaben. Sie helfen Sammlungen und Bestände zu ordnen und sie geben den Betrachtern einen Hinweis auf die Pfade seiner Assoziationen. Bei Frau Pilz kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Ihr ganz spezielles Verhältnis der zwischen dem Bild und seiner Benennung möchte ich eine „poetische Subversion“ nennen. Denn Henrike Pilz geht nicht mit einem Plan zur Sache, etwas zu zeichnen, was sie gesehen oder sich vorgestellt hat. Sie beginnt einfach zu zeichnen (oder auch zu malen). Sie tut das mit Bedacht, in langsamen Bewegungen, sagt sogar, sie „schaue sich beim Zeichnen zu“. Und dann entwickeln sich die Formen und mit ihnen öffnet oder schließt sich der Bildraum, in dem auch Farben sich finden. Und irgendwann, auch das weiß sie nicht zuvor, ist das Blatt beendet. Nun kommt der Titel ins Spiel, den die Betrachtenden – kleiner Tip – niemals lesen sollten, ehe sie das Bild angeschaut haben.

Hier hängt eine Bleistift-Zeichnung in der Ausstellung, die mir besonders gefällt, weil sie so lapidar und vollkommen unprätentiös ist. Sie zeigt drei aus dem Lot geratene scheinbar ungelenk gezeichnete Pfeiler oder Säulen, die oben mit einem Strich wie ein Gesims verbunden sind, und unten auf drei kleinen Hügelchen stehen. Dahinter sieht man eine aufsteigende Linie, wie die Fieberkurve eines Börsenbarometers, die am oberen Ende in Ultramarinblau übergeht. Über das ganze Blatt ziehen sich Verwischungen von Graphit, die auch in diesem Blau enden. Was könnte das sein? Sieht aus wie schlechtes Wetter. Regen. Kennen wir ja. Also, ist das ein Tempel im Regen?

Und nun der Blick auf das Titelschild – ich zitiere: „das ist die Brücke mit dem langen Strand, in der großen Stadt, wo wir waren“. Die Brücke, der Strand, die große Stadt, die Erinnerung an den Besuch dort – lauter Abbreviaturen einer Geschichte, die man vor sich sieht und getrost weiterspinnen kann. Das meine ich mit der „poetischen Subversion des Bildes“. Dass Bild und Wort sich gegenseitig nicht erklären sondern unterlaufen und dabei all jenen, die hinschauen wollen, eine poetische Erfahrung ermöglichen. Ganz so, als läsen sie ein Gedicht.

Das ist noch längst nicht alles, worüber man sprechen könnte.

Aber ich möchte noch gratulieren. Vor allem natürlich der Künstlerin, der ich einen weiteren guten Weg mit der Kunst zur Kunst wünsche und dass der Preis ihr dabei helfe! Und ich möchte auch der Investitionsbank des Landes Brandenburg dazu gratulieren, dass sie diesen Preis ins Leben gerufen hat. Möge ihm ein langes solches beschieden sein!

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Wie ist die Kunst von Ilka Raupach?